
Vom Glück der Nichtigkeit
Mir erscheint es oft, dass die Menschen ständig auf der Suche nach dem Glück sind.
Je mehr sie es versuchen, desto eher scheint es ihnen zu entgleiten. Das muss
dann auch ein großes Glück sein, denn für das kleine Feine fehlt doch der Sinn.
Oder täusche ich mich da? Jedenfalls sind die nach solchem Glück Strebenden
meisten nur quasiglücklich.
Worin sehen denn so viele ihr großes Glück? Viel Geld? Die große Liebe? Das
eigene Haus? Freiheit? Da mag doch so manches noch ganz glücklich zu machen.
Und doch ist mancher Glücksritter schon bald, wenn er das große Glück erhascht
hat, dessen überdrüssig bzw. es verliert seinen Reiz. Was dann? Durststrecke bis
zum nächsten großen Glück, ein neues Auto vielleicht oder eine Reise auf der AIDA.
Nun, solches Glück ist zunächst Ablenkung von etwas anderem. Das etwas Andere
ist die Reise in sein Inneres, in die eigene Seelenwelt und ihre Verbindung mit der
verborgenen Welt, die Welt, welche die Seele berührt, sobald man eine
Wahrnehmung und Sensibilität dafür entwickelt hat.
Gewiss, die anderen Dinge können für eine Weile glücklich machen. Vielleicht steigt
man im Status und das macht stolz. Doch wie groß wird die Angst mit jedem Schritt
zum gestiegenen Status? Oder Freiheit und Unabhängigkeit machen doch durchaus
glücklich. Wie groß jedoch ist die Furcht vor deren Einschränkung? Wie frei ist man
dann wirklich? Angst und Furcht machen unfrei, wenn nicht, bewirken sie sogar
Bereitschaft, diese gewaltsam zu verteidigen. Es folgt eine Spirale des Unglücklichseins.
Wie glücklich dagegen mag jemand sein, männlich, wie weiblich, wer jede
Gelegenheit findet, sich an Nichtigkeiten zu erfreuen? Was benötigt er oder was
befähigt ihn zum Glücklichsein? Er bzw. sie hat die Wahrnehmung und Sensibilität
für Details, ist in der Liebe zu sich und einer Umwelt, ist demütig gegenüber der
Großartigkeit des Kleinen und Feinen im Verborgenen.
Bin ich glücklich? Ich versuche es mal zu umreißen. Materiell habe ich genug.
Essen, Trinken, Haus, Familie, viele Bücher, Reisefreiheit ... Gut, es macht
zufrieden, jedoch nicht umwerfend glücklich. Ich bin unabhängig. Das gibt mir eine
Menge Möglichkeiten dies oder das zu tun. Es ist vielleicht nicht das große Glück,
aber bestimmt ein Mittel das große Glück im oben genannten Sinne zu erlangen,
dem Glück das Verborgene zu finden. Ja, Zeit zu haben ist ein Glück und einen
guten Draht zum Alleinen, dem Allmächtigen zu unterhalten ist eine Voraussetzung,
soll heißen: Spiritualität, was zu erarbeiten ist.
Also gehe ich in den Garten, oder ich pflanze einen Zitronenkern ein. Ich begebe
mich auf die Knie und betrachte eine kleine Blume oder ein kleines Krabbeltier. Ich
betrachte, bewundere, bestaune die kleinsten Details und erfreue mich am Sosein
dessen, was ich betrachte. Ich erfreue mich am Gedeihen des Kleinen auf seinem
Weg zum Großen. Die Veränderungen sind so gering, dass einer, der auf das große
Glück aus ist, darin überhaupt keine Bedeutung beimisst. Daher ist er ja schon bald,
nachdem er es gefunden hat, wieder los, er hat es ja erreicht - sie gleichermaßen.
Denn das lehrt uns die Weisheit des Lebens: Der Weg ist das Ziel. Und der Weg des
Kleinen zum Großen ist ein Prozess, dessen Momente immer aufs Neue eine
Glücksmoment ist. Wer hat mal Muße sich die Wolken zu betrachten. Sie verändernsich,
ziehen vorüber und werden dabei größer oder kleiner, verändern ihre Form.
Das Einssein in der Betrachtung des Nichtigen macht irgendwie glücklich.
Momente wie diese gibt es unendlich viele. Die Freude beim Gestalten oder
Musizieren, wo ich doch schon im Vorfeld weiß, wie es sein soll, ist ein
Glücksmoment. Doch gelingt es mir nur mühsam, darin vollkommener zu werden.
Wie mühselig ist es doch mein Wissen und Können zu vergrößern und wie glücklich
bin ich, wenn ich dieses Erworbene preisgeben darf? Der Philosoph Steiner nennt es
Sympathie, das sich Verlieren in der Betrachtung und des Tätigseins.
Und dennoch wären wir nicht Mensch, würden wir nicht analysieren und uns
betrachtend aus der Welt heraus bewegen, um sie mit Verstand zu beurteilen, das
Gegenteil zur Sympathie ist die Antipathie, was im gesunden Menschen
ausgewogen um das Glücksmoment pendelt. Wir wären schlechte Menschen,
würden wir Erkenntnis und Fähigkeit nicht mit Vernunft in einen schöpferischen
Prozess einfließen lassen. Dieses zu tun in Demut, Dankbarkeit und Liebe ist das
eigentlich große Glück. Wohl dem, der es erlangen kann.
Alexander Droste